Urteil des LG Saarbrücken (Az.: 13 S 153/14): „Eltern haften für ihre Kinder“ ist nicht in jedem Fall zutreffend
Den altbekannten Spruch „Eltern haften für ihre Kinder“ kann man an fast jedem Baustellenzaun lesen. Doch was bedeutet er überhaupt? Im Grunde sagt er nichts anderes aus, als dass Kinder im Alter von unter 14 Jahren aufgrund ihrer Strafunmündigkeit nicht für Schäden in die Haftung genommen werden können. Stattdessen müssen die Eltern einspringen, um Schäden am Vermögen oder der Gesundheit Dritter zu regulieren. Dass diese Weisheit allerdings nicht in jedem Fall gilt, zeigt ein aktuelles Urteil des Landgerichts Saarbrücken (Az.: 13 S 153/14).
Der Verhandlung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Ein achteinhalbjähriger Junge fuhr mit seinem Fahrrad in einer verkehrsberuhigten Zone und streifte beim Rechtsabbiegen ein Auto. An dem Wagen entstand ein Blechschaden in Höhe von rund 2.200 Euro. Die Pkw-Fahrerin traf nachweislich keine Schuld an dem Unfall, daher verlangte sie eine vollständige Entschädigung von den Eltern des Jungen, die nach ihrer Meinung ihre Aufsichtspflicht verletzt hätten und somit für den Schaden haften müssten. Die Eltern sahen sich damit nicht einverstanden und wendeten ein, dass Kinder im Alter von acht bis neun Jahren durchaus alleine innerhalb einer verkehrsberuhigten Zone mit dem Fahrrad unterwegs sein dürften, ohne dass sich dadurch gleich eine Verletzung der elterlichen Aufsichtspflicht ergibt. Da sich beide Parteien nicht einigen konnten, ging der Fall schließlich vor Gericht.
Das Landgericht Saarbrücken folgte der Ansicht der Eltern und stellte fest, dass der Junge zwar eindeutig die Schuld an dem Unfall trage, eine Verletzung der Aufsichtspflicht durch die Eltern in diesem Fall jedoch nicht gegeben sei. Die Begründung: Der Junge sei in einer verkehrsberuhigten Zone mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, in der er sich gut auskannte. Auch das Radfahren beherrsche er für sein Alter sehr gut, zudem konnten die Eltern im Verlauf der Verhandlung glaubhaft machen, ihr Kind über die gängigen Verkehrsregeln aufgeklärt zu haben.
Aufgrund dieser Gegebenheiten sah das Gericht keinen Anlass für eine engmaschige Kontrolle des Kindes. Schließlich sei es nach Auffassung des Gerichts auch Aufgabe der Eltern, ihr Kind zu einem selbstständigen Verhalten zu erzielen. Dazu gehöre auch, dass das Kind ab einem gewissen Alter alleine in der Nähe seines Zuhauses mit dem Fahrrad unterwegs sein dürfe, sofern es sein Verkehrsmittel beherrsche und es zumindest die wichtigsten Verkehrsregeln kenne. Somit wies das Gericht die Klage der Autofahrerin ab, so dass diese aufgrund der Strafunmündigkeit des Kindes den entstandenen Schaden selbst regulieren muss.
Meinung: Ist dieses Urteil ein Skandal?
Man stelle sich vor: Ein Autofahrer wird schuldlos in einen Unfall verwickelt und muss anschließend die Schadenskosten auch noch selbst tragen. Für sich genommen stellt dieser Sachverhalt durchaus einen Skandal dar. Betrachtet man jedoch die genaueren Umstände, unter denen das vorliegende Urteil des Landgerichts Saarbrücken gefällt wurde, muss man das Ganze doch etwas relativieren.
Es ist ein vorrangiges Ziel in unserer Gesellschaft, Kindern nicht nur Rechte und Pflichten aufzuzeigen, sondern sie auch zu selbstständigen, eigenverantwortlichen Menschen zu erziehen. Dies kann aber nur dann gelingen, wenn die Eltern ab einem gewissen Level ihr Kind loslassen können und dies auch gesetzlich dürfen. Man kann heute von achtjährigen Kindern durchaus erwarten, ein Verkehrsmittel wie das Fahrrad sicher zu beherrschen und auch die wichtigsten Verkehrsregeln zu kennen. Den Eltern in diesem Fall eine lückenlose Aufsichtspflicht aufzuerlegen, wäre nach Meinung von Experten kontraproduktiv und würde die Entwicklung zur Selbstständigkeit des Kindes nachhaltig verzögern. Daher könne durchaus die vorgeschriebene Aufsichtspflicht durch die Eltern erfüllt sein, auch wenn das Kind einmal mit seinem Fahrrad in der näheren Umgebung des Wohnorts allein unterwegs ist. Allerdings müssen dafür gewisse Voraussetzungen erfüllt sein. So urteilten andere Gerichte in ähnlich gelagerten Fällen bereits zugunsten des geschädigten Autofahrers, wenn es sich beispielsweise nicht um eine verkehrsberuhigte Zone gehandelt hatte, in der das Kind mit dem Fahrrad unterwegs war. Eltern sollten das Urteil daher nicht als Freifahrtschein dafür sehen, ihr Kind zukünftig jederzeit und unbesorgt ohne Aufsicht unterwegs sein zu lassen.
Für Autofahrer ist diese Ansicht natürlich nicht befriedigend – jedenfalls dann nicht, wenn sie im Ernstfall auf ihrem Schaden sitzen bleiben. Einen wirksamen und guten Rat zu geben, ist daher in diesem Fall schwer. Auf jeden Fall sollten Autofahrer besonders vorsichtig und wachsam sein, wenn sie mit ihrem Fahrzeug innerhalb einer verkehrsberuhigten Zone unterwegs sind.